Die Situation
Wir leben jetzt alle in einem ziemlichen Ausnahmezustand, der sich viel länger hinzieht als im Frühling 2020 abzusehen war.
Bei den allermeisten Menschen ist nichts mehr, wie es war und das Leben ist überhaupt ganz anders als gewohnt. Die Möglichkeiten der sozialen Kontakte sind total eingeschränkt.
Viele gehen dann nicht mehr zur Arbeit oder arbeiten von zuhause. Familienfeiern oder Treffen mit Freunden, Unterhaltung, Sport, all das geht nicht. Das wirbelt alle ganz schön Durcheinander. Dazu gibt es natürlich reale Gefahren, die man nicht wegreden kann.
Trotzdem möchte ich Dir anbieten, dass Du mal aus einem anderen Blickwinkel auf diese extrem ungewohnte Situation guckst, ob Du sie nutzen kannst um neue Sichtweisen zu ermöglichen, die dich später vielleicht in eine neue Richtung führen können. Das ist zumindest in Teilen ist es möglich, und das könnte das das Gute daran sein.
Wir sind ja alle sehr auf uns selber geworfen, ob alleine oder in einer Paarbeziehung oder in einer Familie.
Dinge, die vorher nur am Rande waren, werden jetzt wichtiger, weil wir mehr Zeit haben und Möglichkeiten der Zerstreuung wegfallen – auch Dinge, von denen wir dachten, wir brauchen sie wirklich.
Das löst erst einmal Verunsicherung aus. Gerade weil man es nicht einschätzen kann und Unsicherheit nicht das ist, was uns Menschen in der Regel gefällt.
Wir können ganz gut aus einer relativen inneren oder von den Rahmenbedingungen her auch äußeren Sicherheit uns alle möglichen unsicheren Dinge vorstellen und auch tun und uns dafür begeistern. Aber um neue Ideen zu entwickeln, brauchen Menschen Sicherheit oder suchen zumindest danach.
Deshalb ist es schwer mit dieser Unsicherheit im Moment klarzukommen, gerade weil es unklar ist, wohin diese Veränderung gehen wird: die Lage im ganzen Land oder in Deinem Umfeld, was die Arbeit betrifft oder die Finanzen.
Das löst teilweise auch Ängste aus. Unser Gehirn ist eigentlich nicht dafür gemacht zu viel Veränderung auf einmal zu verdauen.
Unsere Gedanken sind es gewohnt in bestimmten Bahnen zu laufen und diese Bahnen sind keine kleinen Trampelpfade oder kleine Wege, das sind regelrechte Autobahnen, auf denen die laufen. Das funktioniert sehr unbewusst, so dass man sich über vieles keine Gedanken mehr machen.
Es passiert einfach. Das hat den Vorteil, dass es kaum Aufmerksamkeit braucht, z.B. das Autofahren.
Der Nachteil ist, dass wir es gar nicht mitbekommen, und so sind diese Gedankenwege nicht im Alltagsbewusstsein – und deshalb auch schwer zu benennen.
Wir sind alle ein bisschen eingefahren in unseren Denk- und Verhaltensweisen. Die grundsätzlichen Erfahrungen von Menschen mit Unsicherheit und Veränderung sind evolutionär gesehen eher negativ und sehr weit in unserer Geschichte zurück. Evolutionär gesehen war Unsicherheit sehr riskant, also lebensgefährlich.
Menschen suchten nach Wegen überhaupt zu überleben. Vor 30.000 Jahren gab es viele Gefahren und viele Situationen, die die Menschen bedroht haben. Ein Weg möglichst stabile Verhältnisse zu schaffen, in denen man überleben kann, war die Veränderung in einem gewissen Rahmen zu halten und eher für Kontinuität zu sorgen.
Ich glaube zumindest daran, dass das uns heute auch noch in den Knochen steckt und nachwirkt. Das erklärt für mich das Bedürfnis nach relativ viel Sicherheit, auch wenn das Alltagsleben heute zumindest in den Industrieländern sehr viel sicherer geworden ist.
Wir Deutschen haben kulturell gesehen auch unsere Erfahrungen mit Unsicherheit und radikalen Veränderungen aus zwei Weltkriegen, andere Länder und Kulturen auch. Dann gibt es noch die individuelle Ebene:
Jeder Mensch hat seine biografischen Erfahrungen
- wie Du aufgewachsen bist, mit Sicherheit oder mit eher wenig
- ob Du sicher eine Beziehung aufbauen kann oder nicht
- Wie viel Vertrauen Du in das Leben setzen konntest, in Dein Umfeld, in Deine Beziehung
Jeder hat da so sein Paket mitgekriegt. Jetzt sind wir konfrontiert mit einer emotionalen Ausnahmesituation, in der wir mit diesen Veränderungen zurechtkommen müssen.
Ich werde jetzt nicht auf diese Wege eingehen, wie man mit dieser ganzen unklaren Situation umgehen kann, sondern mein Thema ist: wofür könnte die Situation jetzt gut sein?
Ich schlage vor: guck doch mal auf Dein Leben, wie es bis vor kurzem eingerichtet war und wie weit ist Dir wirklich entsprochen hat im hektischen Alltag?
Unser aller Leben ist einfach sehr schnell und sehr komplex geworden und wir haben sonst ja nicht immer die Möglichkeit oder die Muße da genauer hinzugucken und auch zu fühlen. Das, was ich jetzt vorschlage, ist, zu schauen was Du genau möchtest.
- Deinen Fähigkeiten
- Deinen Wünschen
- Deinen Talenten
- Deinen Vorlieben
- für das, was dich begeistert
- Deinen Zielen
- auch dem was Du überhaupt nicht magst, was Du Dir vom Leib halten willst
Dein Leben so danach zu gestalten, ist die Fähigkeit zur Selbststeuerung. Jetzt hast Du vielleicht die Zeit dafür ein paar Schritte weiter zu gehen oder kannst sie Dir zumindest nehmen.
Hier ist mein Vorschlag für Dich, wie Du das strukturiert angehen und diese Freiheit jetzt nutzen kannst. Dafür brauchst Du ein bisschen Zeit für dich ganz allein und in Ruhe, ohne Störung, wo Du ein bisschen in dich gehen kannst und Du nach innen schauen kannst.
Wie gesagt: Veränderung mag unser Gehirn nicht, zumindest keine großen oder plötzlichen. Aber eine schrittweise innere persönliche Veränderung kannst Du bewirken, wenn Du dich auch mit Deinen Gefühlen verbinden kannst.
Der Gehirnforscher Gerhard Hüther hat zum Beispiel sehr gut nachgewiesen, dass wir Menschen immer lernfähig sind bis ins hohe Alter – also zumindest unser Gehirn.
Erfahrung unterscheidet sich von Wissen und Informationen, die Du auch in Büchern nachlesen könntest.
Warum helfen die nicht dabei? Erfahrungen sind mit Gefühlen verbunden und gute Gefühle in neuen Situationen führen dazu, dass dein Gehirn sagt: das könnte sich lohnen da dranzubleiben.
Indem wir es ausprobieren, neue Gedanken und Erfahrungen wiederholen, es hat leider auch etwas mit üben zu tun.
Dann ist es möglich neben dieser „alten Autobahn“ andere Wege für Sichtweisen und Erfahrungen und Verhaltensweisen zu etablieren.
Das sind erst einmal Trampelpfade, die Du öfter gehen must und die dann immer breiter werden und dann irgendwann eine neue Autobahn abbilden könnten – die andere wird dann stillgelegt. Das ist so die Grundidee bei diesen Übungen die ich Dir jetzt vorschlage.
Also begibt sich auch mal in einen Zustand der inneren Achtsamkeit. Was fühlst Du bei diesen Gedankenexperimenten und horch ruhig mal ein bisschen innerlich in Dich rein.
Interessanterweise hat die Gehirnforschung auch festgestellt, dass die Vorstellung einer bestimmten Situation alleine verbunden mit diesem Gefühl oder auch die Erinnerung daran auf uns denselben Effekt hat, als wenn wir sie gerade wirklich erleben.
Schau Dir doch mal Deinen Tagesablauf an, so wie er im Moment ist, die letzten zwei Wochen vielleicht, am Wochenende oder nicht, spielt ja überwiegend gar nicht mehr so eine große Rolle.
Betrachte mal gedanklich so einen Tag von morgens bis abends chronologisch, nicht zu kleinteilig. Also da, wo Du von einer Situation oder einer Tätigkeit in eine andere wechselst, und finde heraus, welche Teile Dir am besten getan haben,
- wo Du ein gutes oder ein schönes Gefühl hattest
- bekannte Dinge, die Du schon immer gemocht hast, für die die jetzt vielleicht Zeit hast
- vielleicht auch neue Dinge oder anderes, was Du sonst selten tust
Das müssen gar überhaupt keine großartigen Dinge sein. Das kann etwas ganz Einfaches sein wie in die Natur rauszugehen, die Sonne zu fühlen oder wie die Vögel jetzt im Frühling anfangen zu singen.
Oder dass Du einfach Zeit für dich hast, ohne dass Du immer etwas leisten muss. Einfach eine Stunde auf Sofa setzen kannst gepflegt und nichts tust. Also auch Faulheit braucht ja seinen Platz.
Such Dir mal drei bis fünf Situationen und Dinge, die Dir im Moment einfach nicht guttun und schreibt sie auf einem Zettel und gib denen ein Pluszeichen
Für die negativen gibt es natürlich ein Minus. Also Fühl mal den Tagesablauf genauso nach
- was jetzt an so einem Tag stört
- was dich belastet
- was dich nervt (abgesehen von den Ängsten, die auch einfach mal so kommen)
Guck mal und benenne mal die drei bis fünf Dinge, die Dir am wenigsten gefallen haben Und was fehlt eigentlich im Moment, was Du sonst getan hast: Soziale Kontakte, Sport, Freizeit, was auch immer.
Zum Beispiel etwas, was fehlt, weil Du das vorher gemacht hat und jetzt nicht mehr kannst. Oder vielleicht hast Du es auch schon ganz lange nicht mehr getan.
Vielleicht hast Du früher immer mal ein Musikinstrument gespielt und es hat Dir viel gegeben, aber jetzt ist seit Jahren nicht mehr gemacht und vielleicht solltest Du hervorholen. Und dann kommt es auch auf die Liste: was fehlt.
Die vier Ebenen
Diese Bestandsaufnahme kannst Du auf vier Ebenen machen:
- was tut Deinem Körper gut und was nicht: Essen, Schlafen, Berührung etc.?
- Welche Gefühle erlebst Du zurzeit, welche sind angenehm oder gar nicht gut?
- Was tut Deinem Kopf gut? Vielleicht spielst Du Schach, liest ein Fachbuch, denkst analytisch über etwas nach, oder machst einen Plan.
- was sagt Deine Seele eigentlich dazu? Wenn Du über die Welt als solche nachdenkst und über Sinnhaftigkeit
Jetzt hast Du einen Überblick, wie Deine Situation im Moment ist.
Jetzt machst Du dieselbe Bestandsaufnahme mit den Schritten für den Tagesablauf vor dieser Zeit, also bis vor kurzem, genau in dieser Form.
Und dann legst Du das bildhaft übereinander gewissermaßen, und dann wirst Du feststellen, dass es da teilweise Deckung gibt und teilweise überhaupt nicht.
Vielleicht gibt es jetzt Dinge für Dich, die für Dich sehr positiv und schön besetzt sind, die vorher kaum vorkamen. Oder jetzt ist manches unangenehm, was neu ist, vorher kaum vorkam. Oder es fehlt jetzt etwas. Mach diesen Vergleich mal für die Phasen: jetzt und vor kurzem, ohne nach vorne zu denken, wohin das wohl führen soll.
Wenn Du Deine innere Zufriedenheit mit Deinem Leben jetzt mit dem von vorher vergleichst und das übereinanderlegst, wird relativ schnell offensichtlich werden, was daran vorher gut gepasst hat und was immer noch passt. Du kannst auch sehen, wohin Dich diese Veränderungen jetzt führen können, so dass die Schlussfolgerung daraus sein kann:
- wie möchtest Du Dein Leben in Zukunft leben, wenn wieder etwas mehr Normalität einkehren, was willst Du ändern?
- was möchtest Du dann mehr haben oder tun von dem, was Du jetzt bewusster erkannt hast als gut für Dich ist und Dir entsprechend?
- was möchtest Du etwas runterfahren oder minimieren in Zukunft, weil es Dir gar nicht guttut?
So formt sich vielleicht das Bild eines sinnvollen und guten Lebens, im Sinne von auch möglich und erreichbar, vielleicht nicht gleich, aber in ein oder zwei Jahren.
Eine Fantasie, die ein Ziel abbilden könnte, das Du anstrebst. Und wenn Du dieses Bild hast, dann stell Dir das mal ganz ausführlich und sinnlich vor: male Dir diese Situation aus
- wo bist Du dann in einem oder zwei Jahren?
- Und wer ist mit Dir da, mit wem erlebst Du diese schönen Gefühle und die sehr guten Dinge für dich?
Nimm Dir ruhig mal eine halbe oder eine ganze Minute Zeit, um solche Situationen und Bilder zu spüren, wie schön das wäre…
Danach kommst Du dann wieder zurück in die Realität, machst die Augen wieder auf und bist hier wieder da
Was könntest Du jetzt schon tun um in diese Richtung zu gehen?
Wie gesagt, unser Gehirn mag keine großen radikalen Veränderungen. Deswegen ist die Situation im Moment auch schwierig auszuhalten. Aber wenn Du Dir anguckt, was Dir vielleicht gefehlt hat oder was Dir jetzt gut, tut dann plane mal ein paar kleine Schritte praktische Schritte, die Du heute tun kannst, um in Deine gewünschte Richtung zu gehen.
Was könnte für dich ein noch besseres Leben sein?
Nimm Dir nichts vor, was zu riesig ist und zu viel Aufwand und Umwälzung bedeutet, weil das in der Regel schnell zu Frustration führt. Vielleicht eine Sache am Tag oder zwei Dinge, die ein paar Minuten kosten.
Überleg mal wo Du das in Deinen Tagesablauf integrieren kannst. Aber verfalle dabei nicht dem Drang zur Selbstoptimierung.
Vielleicht brauchst Du auch einfach mal etwas Zeit für Dich – den Luxus sich um niemanden kümmern zu müssen, sondern nur für Dich zu sein und wo Du niemandem Rechenschaft schuldig bist.
Wo Du niemanden versorgen musst und Dich um niemanden kümmern muss und für sein Wohlbefinden zuständig bist.
Damit kommen wir auf das Motto, unter dem ich diesen Blog betreibe, und was wirklich den Kern meiner Arbeit verkörpert. Was ist wirklich wichtig in Deinem Leben?
Ich hoffe, dass Du dem auch Durch diese Übung näher kommst. Dann wirst Du oder kannst Du ziemlich schnell auch auf die Werte in Deinem Leben kommen, die Dich antreiben.
Etwas, was im normalen Alltagsbewusstsein so gar nicht vorkommt. Was ist der Motor, der Dich in bestimmte Richtungen in Deinem Leben schiebt oder Dich antreibt, oder zu gewissen Verhaltensweisen oder Entscheidungen in Deinem Leben.
Die Hirnforschung sagt dummerweise auch: man braucht ungefähr drei Wochen um etwas Neues so weit zu stabilisieren, also neue Sichtweisen und Verhaltensweisen, dass auch diese ein bisschen mehr ins Unterbewusstsein rutschen können und man nicht immer bewusst daran denken muss. Der erwähnte Trampelpfad kann sich verbreitern in Deinem Gehirn und zu einer persönlichen Veränderung führen.
Die nächsten beiden Themen sind
Was trägst Du auch dazu bei, dass Du Dich mit Dir selber manchmal so mickrig fühlst oder wertlos oder unfähig – also wie wehrtest Du dich selber ab? Und wie kommst Du mit Dir selber mehr ins Reine?
Ein paar Gründe, warum es gar nicht so einfach ist seine Träume zu verwirklichen
Originally posted 2020-02-26 17:41:36.
Hinterlasse einen Kommentar