In meinen Männerseminaren und Coachings ist eines der schwierigsten Themen für die Teilnehmer bzw. Klienten eines, dessen Tiefgang meist in der Vehemenz gar nicht so erwartet nicht: Grenzen im persönlichen Kontakt.
Schwierig, weil es so emotional besetzt ist, weil es alte Wunden aufreißt. Vor allem aber, weil Gefühle auftauchen, die vor allem Männer meiden wie der Teufel das Weihwasser: Ohnmacht und Hilflosigkeit, Ausweglosigkeit. Es konterkariert ein zentrales Element der traditionellen männlichen Identität: ein Mann hat sein Leben im Griff und jederzeit die Kontrolle über die Situation zu haben.
Männer hassen es mit diesen Gefühlen konfrontiert zu werden (ich auch…, habe aber einigermaßen gelernt mich diesem Gefühl zu stellen. Es klappt meistens.)
Schwierig ist das Thema auch, weil es komplex ist und widersprüchlich: es teilt sich auf in verschiedene Aspekte, die sich teilweise gegenüberliegen und sich dann noch bedingen, zumindest beeinflussen. Und moralisch-ethisch ist dieser Themenkomplex viel komplizierter als es heutzutage öffentlich verhandelt wird.
Die Elemente sind aus meiner Sicht:
- Grenzen setzen
- Grenzen akzeptieren
- Grenzen überschreiten
- Grenzen öffnen
Die männliche Menschheitsgeschichte ist diesbezüglich die Geschichte von Kampf, Krieg, Eroberung, Verteidigung –Männer als Krieger, Soldaten, Beschützer ihrer Familien, die die Pole: Grenzen setzen und überschreiten, verinnerlicht hatten und jahrtausendelang dafür zuständig waren.
So gesehen ist sie auch eine Geschichte von Leid, Gewalt, Zerstörung, gleichzeitig teilweise auch Lust an der gewollten Grenzüberschreitung.
Was sich davon noch gehalten hat in unserer Kultur ist die ritualisierte Form in Sport und Unterhaltung: im Fußball, Boxen, Rugby z.B.. Der emotionale Kitzel und die Leidenschaft, mit der das von Millionen Zuschauern verfolgt wird, rührt auch daher.
Der „Torwarttitan“ Olli Kahn, der es meisterlich verstand seine Grenzen (seinen Kasten) zu verteidigen, tat dies offensiv und sogar lustvoll, indem er seine Gegenspieler regelwidrig körperlich anging, anschrie und sogar biss.
Er war ein gutes Beispiel für die Fähigkeit zur Selbstbehauptung, die zwingend die Mobilisierung von Aggression erfordert – jeder überlegte, ob er sich mit ihm anlegen sollte. Aus der heutigen Sicht, in der (durch die weibliche Definitionsmacht) ein ganz anderes, zahmeres Männerbild als wünschenswert dargestellt wird, wirkt Kahn eher wie ein aus der Zeit gefallener Primat.
Die ambivalenten Reaktionen, die er häufig auslöste, zeigen allerdings die Ambivalenz des Themas und auch der Erwartungen, die an Männer gestellt werden. Und was er gut sichtbar zeigte, war die Verbindung aus der Fähigkeit, seine Energie und Aggression zu mobilisieren und dem Ergebnis einer guten Selbstbehauptung.
Über den Umgang mit Aggression, aus meiner Sicht einer DER zentralen Punkte im Leben eines Mannes, werde ich demnächst schreiben. Hier nur soviel: Aggression und Gewalt sind erst mal sehr verschiedene Dinge (die allerdings manchmal miteinander einhergehen).
Auf einer ganz anderen Ebene spielen Grenzen für uns alle auch ein große Rolle: bedeutende Entdeckungen in der Wissenschaft wurden nur gemacht, weil sich Männer über bestehende Regeln und Gesetze hinwegsetzten und z.B. zu medizinischen Zwecken Leichen aufschnitten, andere Tabus missachteten und riskante Versuchsanordnungen unternahmen, häufig sogar im lebensgefährlichen Bereich mit sich selbst als Versuchsperson. Davon hat die Menschheit enorm profitiert.
Und: rein körperlich betrachtet können sich Menschen nur fortpflanzen, wenn der Mann die körperliche Grenze einer Frau überwindet – auch dies eine nicht nur positive, sondern zwingend nötige Überschreitung körperlicher Grenzen. Die moderne Reproduktionsmedizin hat dies zwar verändert, aber das lassen wir hier mal unberücksichtigt.
Festzuhalten bleibt: die heute weit verbreitete Doktrin: wer Grenzen überschreitet, ist ein Täter und „böse“, wird der Komplexität des Themas überhaupt nicht gerecht.
Was zur Liebesfähigkeit dazugehört, ist der Aspekt: seine Grenzen öffnen – für Männer in Beziehungen meist eine schwierige Gratwanderung. Wenn wir uns den Pol der Aggression als eine Kraft in diesem Wechselspiel nehmen, so wäre hier nötig der Gegenpol der Hingabe: sich zu öffnen, eine Berührbarkeit der Seele zu gestatten, was Voraussetzung ist für Zweisamkeit, Intimität, Nähe, Liebe.
Als ein Zustand, der sich im sich-verlieben einstellt, für Männer recht geläufig. Aber bewusst diesen Akt der Öffnung der Grenze, des sich-Zeigens und sich verwundbar-Machens für andere, ist bei Männern oft mit Ängsten verbunden (die es dem Mythos des: „Frauen können das locker“ widersprechend auch bei Frauen gibt).
Gleichzeitig verlockt auch das Verschmelzen, das Grenzenlose, das Aufgehoben-sein wieder im mütterlichen Uterus, den manche Männer dann kaum noch verlassen möchten (bildhaft gesprochen). Das basiert natürlich auf den biografischen Erfahrungen von Männern: wie viel Vertrauen kann ich haben, dass mir nur gutes geschieht, wenn ich mich öffne? Und weiterhin: wie gut kann ich danach wieder in die Distanz, meine Autonomie kommen, wie krieg ich das hin?
So ist die Fähigkeit zur Abgrenzung direkt gekoppelt an die Fähigkeit zu lieben, und Probleme in ersterem hindern oft am zweiten.
Das läuft in der Regel eher unbewusst als bewusst ab: wer kein Vertrauen zu seiner Fähigkeit zur Selbstbehauptung hat, wird Innigkeit und tiefe Liebe eher meiden durch z.B. viele flüchtige Sexualkontakte oder ein grundsätzliches Single-Dasein, oder er wird in Abhängigkeit zu Frauen leben, Konflikte vermeiden, seine eigenen Bedürfnisse negieren, um die Nähe nicht zu gefährden.
Entgegnen der landläufigen Meinung (aber wohl nicht dieser Leser hier) haben die meisten Männer eher Schwierigkeiten mit einer guten Selbstbehauptung, dem Zurückweisen von invasivem bis hin zu entwürdigendem Verhalten.
Das hat natürlich auch etwas damit zu tun, welche Männer in Seminare gehen oder in Beratung und Therapie: es sind nun mal nicht die Olli Kahns und Stefan Effenbergs dieser Welt (obwohl es ihnen wohl guttäte). Auch hier spielt die biografische Prägung deine zentrale Rolle: wie sehr durfte der kleine Junge sich distanzieren, für sich sein, anders als gewünscht sein?
Dem entgegen stehen häufig Erlebnisse mit Müttern, die ihren Jungen überwiegend in der Symbiose hielten (z.B. als Partnerersatz) und Autonomie eher bestraften. Dann fehlt einem erwachsenen Mann das Grundvertrauen, die innere Erlaubnis, Grenzen zu setzen.
Stattdessen entwickelt der meist eine sehr angepasste Haltung zu den Bedürfnissen seiner Partnerin und die Angst sie zu verletzen. Dass der Anteil der „Muttersöhnchen“, die mit 40 Jahren noch zuhause wohnen, seit 30 Jahren unaufhaltsam steigt, hat wohl auch damit zu tun.
Ich sehen es eher als eine gesellschaftliche Bewegung, mit der Männer individuell, aber in großer Zahl auf Forderungen von Frauen (Ehefrauen, jetzt auch Mütter) reagieren, die aggressive Impulse (auch die guten und lebensbejahenden!) bei Jungen und Männern tabuisieren und ächten – sie möchten den „Neuen Mann“ bitte schön.
Dass diese Männer für dieses Mehr an Zurückhaltung, Sanftheit und der Orientierung hin zu weiblichen Bedürfnissen von den Frauen in der Regel nicht den “Lohn“ dieser Persönlichkeitsentwicklung ernten, sondern oft eher Kritik bis hin zur Verachtung, steht auf einem anderen Blatt und macht das Thema für Männer aber nicht einfacher.
Ich wünsche Männern mehr Mut, mal „nein“ zu sagen, ihren eigenen Bedürfnissen auch Raum und Zeit zu geben und ihre Sicht der Welt und sich selbst offensiver zu vertreten. Frauen wünschen sich nämlich einfach (auch) ein männliches Gegenüber, an dem sie sich reiben können und der ihnen nicht nach dem Mund redet und der auch mal einen Streit aushält.
Der Gewinn kann mehr männliches geerdetes Selbstbewusstsein sein, eine liebevollere Beziehung zu sich selbst, mehr Lebensfreude und eine lebendigere Liebesbeziehung.
Der erste Satz des Titels stammt übrigens von der Band Trio aus den 80er. Das Stück hat… irgendwie … etwas mit dem Thema zu tun. Oder auch nicht. Empfehlenswert!
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